Die folgenden Fragen stellen sich viele Menschen irgendwann einmal im Leben:
Wie möchte ich mein Leben gestalten?
Was möchte ich beruflich machen?
Was möchte ich, durch mein Tun bewegen?
„Studium mit Behinderung“ – ein von Amelie selbst erstelltes Bild
Auch ich habe mir diese Fragen gestellt und mein persönlicher Weg hat mich zur Architektur geführt. Der Berufswunsch war klar und heute studiere ich Architektur im Master an der Universität. Und was soll ich sagen? – Ich liebe es! Diese Tätigkeit macht so viel Sinn für mich, weil ich das Umfeld, in dem wir als Gesellschaft leben, in meiner künftigen beruflichen Tätigkeit mitgestalten darf. Ein Umfeld, das leider heute (noch) nicht wirklich barrierefrei ist…
Es wird allerdings auch nicht von allein barrierefrei. Irgendjemand muss sich dafür stark machen, einsetzen und immer wieder auf die Wichtigkeit des Themas und die Konsequenzen fehlender Barrierefreiheit hinweisen. Und wer könnte das besser als jemand, der direkt selbst davon betroffen ist und auf eine entsprechende Umgebung angewiesen ist? Ich jedenfalls habe es mir zur Aufgabe gemacht, dieser „Irgendjemand“ zu werden in meiner Tätigkeit als Architektin.
…startete mit ungefähr 12 Jahren und sollte sehr turbulent werden: Ich wurde von einem Computerspiel, in dem man Häuser entwerfen konnte, angefixt. Dann war klar, ich will Architektin werden. Viele versuchten mir das wieder auszureden. Oft hörte ich den Satz: Wie soll das denn gehen im Rollstuhl?!
Ich habe mir eher Sorgen gemacht, weil ich gehört habe, dass man für das Studium viiiiel Mathe braucht und das ist nicht gerade meine Stärke…Das hat sich im Endeffekt als Fehlinformation herausgestellt.
Ich ließ mich davon aber nicht abbringen, im Gegenteil: Ich absolvierte ein Schülerpraktikum in einem Architekturbüro. Dann noch eins, bis ich schließlich mein Abitur in der Tasche hatte und mich an der Uni auf einen Studienplatz für Architektur und Stadtplanung bewerben konnte. Bis dahin lief alles mehr oder weniger rund.
Ich hatte bereits vor Studienbeginn einen Termin mit der Behindertenbeauftragten und einer Dozentin der Uni, um offene Fragen beiderseits zu klären. Man muss dazu sagen, dass natürlich auch die Uni nicht der Inbegriff von Barrierefreiheit ist und das auch nicht einfach über Nacht wird. Darüber hinaus war ich tatsächlich die erste rollstuhlfahrende Studentin, die jemals an der Fakultät für Architektur studiert hat. …bis heute!
Es gab zwar eine behindertengerechte Toilette, aber die Hörsäle sind nur bedingt zugänglich, die Türen öffnen sich nicht automatisch und um in bestimmte Räume mit dem Rolli zu gelangen, benötige ich einen Schlüssel, oder muss einen großen Umweg machen. Und manchmal gibt es auch gar keinen rollstuhltauglichen Weg. An diesen Problemstellen arbeiten wir bis heute. Und es ist sehr schön zu sehen, wenn sich so ein Problem in Wohlgefallen auflöst. So wurde zum Beispiel extra ein Treppenlift eingebaut.
Kurzum: es war für die MitarbeiterInnen alles Neuland, wie für mich auch. Denn sind wir mal ehrlich, vor dem Studium hat man keine Ahnung, was einen da wirklich erwartet…
Ich war aber sehr froh darüber, dass wir bisher gemeinsam für jedes Problem eine Lösung gefunden haben und alle sehr engagiert sind. So wurde beispielsweise einfach ein Tisch in den alten Hörsaal gestellt, damit ich auch einen „Sitz“-platz hatte. Und an Stelle eines physischen Architekturmodells, das ich wegen der fehlenden Arm-Kraft nicht bauen kann, habe ich früh begonnen, meine Entwürfe 3D am Computer zu bauen. In der Regel spreche ich diesen Umstand immer am Anfang des neuen Semesters bei den Lehrenden an und bisher war es absolut kein Problem, dass ich etwas anders arbeite als meine Mitstudierenden.
Ganz anders lief das Ganze leider mit dem Amt, das die Studienassistenz finanziert. Es war teilweise zum Verzweifeln. So wusste ich zum Beispiel nicht, wer mich am ersten Tag zur Uni begleitet, oder ob die Assistenz überhaupt bezahlt und genehmigt wird. Hier sind viele Tränen geflossen, viele Anträge verschickt und Anwälte befragt worden. Und allein dieser Umstand ist eine Katastrophe und zeigt, wie weit wir von Inklusion und Gleichstellung entfernt sind…
Letztendlich hat sich dann glücklicherweise alles mit der Zeit gefunden und die Assistenz ist genehmigt worden. Ich konnte mit meinen Kommilitonen gemeinsam studieren und meinem Traum ein Stück näherkommen.
Was ist aus den Zweiflern geworden? – Nun, es gibt sie noch! Auch bei mir selbst kommen sie immer wieder durch, die Zweifel! Realistisch betrachtet, werde ich nicht auf einer Baustelle arbeiten können. Aber wer sagt eigentlich, dass man das als Architektin unbedingt tun muss? Während meiner Praktika, die ich auch während des Studiums weiterhin absolviert habe, durfte ich feststellen: Es gibt mehr als genug IM Büro zu tun und ich muss gar nicht zwingend auf eine Baustelle gehen, um Architektin zu sein. Diese Erfahrung hätte ich aber nie sammeln können, wenn ich mich nicht dafür eingesetzt und es einfach versucht hätte. Im Jahr 2020 habe ich dann meinen Bachelorabschluss gemacht und im nächsten Jahr den Master an derselben Uni begonnen. Und heute stehe ich kurz vor der Masterthesis. Kurz vor dem Schritt in die Arbeitswelt. Kurz vor der nächsten Stufe meiner Traumerfüllung. Und darauf bin ich verdammt stolz!
Wenn du magst, kannst ja auch du dir mal überlegen: „Welchen Irgendjemand möchte ich selbst mit Leben füllen?“
Vielleicht tust du es ja auch schon?
Allen Zweiflern und Zweifeln zum Trotz hat Amelie die Herausforderung „Studium mit SMA“ gewagt.
Hinweis: Erkennbare Markennamen sind willkürlich gewählt und dienen ausdrücklich nicht der Produktplatzierung. Biogen nimmt keinerlei Einfluss auf Umsatzgeschäfte der auf SMAlltalk sporadisch erkennbaren Markenhersteller und es bestehen diesbezüglich keinerlei Erwartungen.
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