Redaktionsteam - Camilla
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JAHRGANG 1971 •
SMA TYP II

Muskelkranke machen sich füreinander stark – Unterstützung für eine SMAlerin aus der Ukraine

Manchmal setzt eine ganz kleine Notiz, die man zufällig liest, eine große Welle der Hilfsbereitschaft in Gang. So geschehen auch im März 2022…

Zwei Hände in den Farben der Ukraine, gelb und blau, werden sich unterstützend gereicht.
Zwei Hände in den Farben der Ukraine, gelb und blau, werden sich unterstützend gereicht.

Über einen Facebook-Beitrag der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke e.V. (DGM) wurde ich auf das Foto von drei sehr nett aussehenden Frauen aufmerksam und las in dem dazugehörigen Post, dass die abgebildete Familie, bestehend aus einer Mutter mit zwei erwachsenen Töchtern, aus der Ukraine vor dem Krieg geflohen war. Zwischenzeitlich hatte sie in Freiburg in der Probewohnung der DGM eine sichere Anlaufstelle gefunden und war aktuell auf der Suche nach einer barrierefreien Wohnung, um sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen – zunächst einmal für mindestens sechs Monate, vielleicht aber auch auf Dauer.

Ob ich helfen möchte? – Keine Frage!

Es sprach nichts dagegen, aber alles dafür, dass ich hier sofort helfen wollte. Besonders, da die ältere Tochter mit einer SMA Typ II lebt und ich mir überhaupt nicht ausmalen möchte, was eine Flucht vor dem Krieg unter diesen Umständen bedeutet – nicht auf die Toilette gehen zu können, in einem nur unzureichend passenden Rollstuhl zu sitzen, nicht zu wissen, wohin die Reise geht und wie das Leben weiter verlaufen wird…

Mein Hintergrund

Bevor ich davon erzähle, wie sich „die Geschichte“ weiterentwickelt hat, ein kurzer Blick hinter die Kulissen, warum es so auch neben der gemeinsamen Verbundenheit durch die gleiche Diagnose logisch für mich war, mich für die Familie stark zu machen.

Seit knapp 25 Jahren arbeite ich in einem großen überregionalen Netzwerk sozialer Träger, deren inklusive Angebote von Kindergärten bis hin zu Hospizen reichen und dazwischen alle Bereiche des täglichen Lebens abdecken. Und da es quasi nichts gibt, was wir nicht anbieten, haben wir auch barrierefreie Wohnungen, Assistenzleistungen, sozialpädagogische Begleitung, pflegerische Angebote und vieles mehr.

Da ich in einem unserer komplett barrierefreien Häuser mit fantastischer Infrastruktur wohne und wir zu dem Zeitpunkt zwei freie Wohnungen hatten, genügte ein kurzes Telefonat mit dem Vorstand und ohne Zögern war klar: Wir werden mit voller Manpower dafür sorgen, dass die Familie einen sicheren Ruhepol findet.

So nahm ich Kontakt zur DGM auf, berichtete davon, wer wir sind, was wir machen und wo eine Wohnung frei ist, damit die Familienmitglieder entscheiden konnten, ob sie sich im Rhein-Main-Gebiet wohl fühlen würden und ob das, was wir anbieten können, auch das ist, was sie gerne möchten.

Auf ins neue Leben

Bereits am nächsten Tag war klar, dass die drei Frauen mit großer Freude den nächsten Schritt auf ihrem Weg machen würden.

Schon eine Woche später war der Einzug geplant und daher musste von unserer Seite aus alles blitzschnell geregelt werden. Meine Wahl für die Familie fiel auf die hellere, luftigere der beiden freien Wohnungen. Sie war allerdings stark renovierungsbedürftig, es gab keine Küche und natürlich keine Möbel. Es war einfach eine komplett leere Wohnung.

Aber, hey, genau darin zeigt sich die Stärke unseres Netzwerks. Vorwegnehmen kann ich nämlich schon einmal, dass wir es – eine absolute Punktlandung! – geschafft haben. Was genau haben wir denn nun getan?

Wie alles ablief

Bei mir liefen die Fäden zusammen: Ich habe organisiert, telefoniert, Aufrufe in den sozialen Medien gemacht, Listen angelegt, koordiniert… Und den Überblick über das strukturierte Chaos und die fast 100 (!) beteiligten Personen behalten. Hierbei war es mir wichtig, besonders die Dinge zu besorgen, die das Leben mit SMA leichter machen – zum Beispiel ein elektrisch verstellbares Pflegebett, ein gut unterfahrbarer Esstisch und ein Duschstuhl. Einen tollen Elektrorollstuhl hatte sie bereits in Freiburg erhalten.

Innerhalb von nur sieben Tagen haben wir die Wohnung frisch renoviert, eine Küche organisiert, Möbel, Lebensmittel, Geschirr, Gutscheine von einem nahegelegenen Supermarkt und tausende andere Dinge organisiert. So konnten wir dann der Familie am Tag des Einzugs mit dem guten Gewissen, dass sie einen schönen und materiell sorglosen Start bei uns haben, die Schlüssel für ihre neue Wohnung übergeben.

Eine Welle der Hilfsbereitschaft

Die Welle der Hilfsbereitschaft innerhalb und außerhalb unseres Netzwerks war phänomenal und gab mir, auch wenn das nun vielleicht ein wenig cheesy klingt, wieder einmal die Bestätigung, dass die allermeisten Menschen freundlich, hilfsbereit und freigiebig sind. 🧡

Alle unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die beteiligt waren (Handwerker, Reinigungskräfte, Immobilienverwaltung, Vorstand, Verwaltungsangestellte, Assistenten, Geschäftsführung und viele mehr), haben ehrenamtlich in ihrer Freizeit Großes geleistet. Wir haben teilweise bis abends nach 22:00 Uhr gearbeitet. Die gebrauchte Küche, die wir bekamen, musste gereinigt und angepasst werden und in der Wohnung wurde schwer renoviert, geputzt, eingeräumt und die Möbel gerückt. Alle waren mit vollem Elan und Herz dabei und es schwang immer die Freude darin mit, etwas Gutes zu tun, in Verbindung mit der Hoffnung, dass es der Familie – soweit das unter diesen Umständen möglich ist – gefällt und die Frauen zur Ruhe kommen können.

Aber auch unzählige Privatpersonen und Firmen außerhalb des Netzwerks waren phänomenal! Mit deren Hilfe konnte ich Kleidung, Bettwäsche, Geschirr, Lebensmittel, Bilder, Möbel, Geldspenden und alles weitere Notwendige organisieren und die Wohnung gemütlich ausstatten.

Der Einzug

Und dann war es Ende März 2022 so weit: Die DGM hatte einen Fahrdienst organisiert und wir konnten die Familie in Empfang nehmen.

Es war große Sympathie auf den ersten Blick und natürlich die SMA-bedingte Verbundenheit. Wie sich schnell herausstellte, war die junge Frau mit SMA besonders glücklich über ihren neuen Wohnort, weil hier einer der Spezialisten für unsere Behinderung tätig ist. Manchmal soll es einfach so sein und jedes Schreckliche hat auch sein Gutes.

So ging es weiter

Für mich war es klar, dass meine Unterstützung nicht mit der Schlüsselübergabe endete. In den kommenden Wochen und Monaten war ich nicht nur schnell Freundin der Familie, sondern stets auch weiter Ansprechpartnerin, wenn es darum ging, Anträge zu stellen, Arzttermine zu organisieren, das Leben in Deutschland zu erklären, Krankenkassen- und Behördenangelegenheiten zu regeln und vieles, vieles mehr.

Es ist unglaublich, wie enorm viel zu organisieren, zu lernen und zu verkraften ist, wenn man in einem anderen Land von Null an neu beginnt und die Sprache nicht spricht. Die Familie hat das phänomenal gemeistert und sich mit viel Lebensfreude und Energie in ihr neues Leben geworfen.

Die Kommunikation

Wir haben uns (begleitet von sehr viel Gelächter!) zu Beginn immer über eine Übersetzungsapp unterhalten. Die jüngere der beiden Töchter spricht sehr gut Englisch, aber wenn die ältere Schwester und ich uns alleine unterhalten haben, war die App sehr hilfreich. Wir fanden es von beiden Seiten her sehr interessant zu erfahren, wie und wann die Diagnosen gestellt wurden, wie der Verlauf war, welche Therapien gemacht wurden und wie der Ausblick in die Zukunft ist. Auch waren wir sehr interessiert daran zu erfahren, wie das Leben mit SMA in Deutschland und in der Ukraine ist.

Die aktuelle Situation

Zwischenzeitlich ist fast ein Jahr vergangen. Die Frauen haben sehr schnell Kontakte geknüpft, Integrations- und Sprachkurse besucht und sich ein Leben aufgebaut. Die junge Frau mit SMA bekommt nun Pflege und Assistenz, ein SMA-Medikament und die Hilfsmittelversorgung ist angelaufen.

Wir haben regelmäßigen Kontakt, laden uns gegenseitig zum Essen ein und ich freue mich sehr darüber, dass eine gute Freundschaft zu der Familie entstanden ist.

https://www.ifb-stiftung.de/wer-sind-wir/pressebereich/pressemitteilungen/pm-details/ifb-stiftung-hilft-menschen-mit-behinderung-aus-der-ukraine-auf-der-flucht-mit-extremer-abhaengigkeit-konfrontiert

https://www.wiesbadener-kurier.de/lokales/wiesbaden/stadt-wiesbaden/flucht-aus-der-ukraine-im-rollstuhl-1865377

https://www.facebook.com/photo.php?fbid=370048745145236&set=pb.100064203414426.-2207520000.&type=3

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