Jahrgang: 1990 •
SMA TYP II

Interview: Der Alltag meiner persönlichen Assistenz – Von Herausforderungen, Meilensteinen und dem Wert echter Zusammenarbeit

Was bedeutet es, als persönliche Assistenz tätig zu sein? Für viele ist es mehr als nur ein Beruf – es ist eine Aufgabe mit Sinn, geprägt von Nähe, Verantwortung und echter Verbindung. In diesem Interview erzählt meine persönliche Assistenz von dem Weg in die Assistenzarbeit, prägenden Herausforderungen und besonderen Momenten, die nachhaltig beeinflusst haben.

Ein Foto einer Person, die einen Rollstuhl durch die Natur schiebt.
Ein Foto einer Person, die einen Rollstuhl durch die Natur schiebt.

Magst du dich kurz vorstellen, wer du bist?

Ich bevorzuge es, meine Identität nicht preiszugeben, weil ich so ehrlicher auf die Fragen antworten kann.

Wie hat dein beruflicher Weg begonnen? War die Arbeit als Assistent:in schon immer ein Ziel für dich oder bist du zufällig darauf gestoßen?

Ich mache diesen Job schon seit dem Zivildienst damals … also viele Jahre. 😄

Währenddessen liefen einige Studienfächer und Ausbildungen. Ich habe momentan drei Jobs, weil ich auch noch ein bisschen doziere und meine Selbstständigkeit langsam aufbaue. Dazu ist diese Schichtarbeit perfekt geeignet – besonders, weil du mir viele Freiräume im Dienstplan ermöglichst.

Was hat dich an der Arbeit als persönliche/r Assistent:in besonders gereizt? Gab es einen bestimmten Moment, der deine Entscheidung beeinflusst hat?

Etwas Sinnvolles zu tun, gebraucht zu werden.

Ich habe einen Freund, der so lange im krummen Investment-Gewerbe gearbeitet und Superreichen geholfen hat, bloß keine Steuern für Kindergärten und Krankenhäuser zahlen zu müssen, bis es ihm fast den Lebensmut raubte. Der hat in derselben Zeit wie ich sicher das Zehnfache verdient – aber er musste raus, weil er nur zerstört hat, statt die Welt besser zu machen.

Ich habe schon viele heftige Schichten gearbeitet und war oft ziemlich fertig, besonders während der Pandemie – aber nie, wirklich nie, habe ich mein Tun nicht als sinnhaft empfunden.

Kannst du dich noch an deinen ersten Tag erinnern? Wie hast du dich dabei gefühlt?

Erster Tag damals im Zivildienst? Ach, eigentlich egal. Das gilt für jede Stelle bisher:

Überfordert. Eine unfassbar wichtige Rolle spielt hier die anfangs fehlende Planbarkeit. Je besser man weiß, was einen erwartet, desto einfacher wird die Arbeit. Durch Routine und die richtige Erwartung an meine Schicht fällt mir alles heute doppelt so leicht. Das macht psychisch viel aus.

Gab es Herausforderungen? Wenn ja, welche und wie bist du damit umgegangen?

Grundsätzlich eine Standard-Herausforderung: Die Kommunikation.

Fast alle Klienten, die mir einfallen, hatten durch die Behinderung eine etwas undeutlichere Aussprache und ich höre nicht immer gut. Es fühlt sich manchmal furchtbar an, immer wieder nachfragen zu müssen. Nach kurzer Zeit spielt sich das ein und man versteht sich immer besser.

Eine weitere Herausforderung ist es, sich auf den Tag-Nacht-Rhythmus eines anderen Menschen einzustellen. Dieses Gefühl, spät nachts nochmal ran zu müssen, wenn man manchmal so müde ist, dass man sich nicht mehr fokussieren kann!

Auch hier hilft es, dass du dafür tagsüber Pausen schaffst – besonders, wenn meine kleinen Kinder vorher die Nacht durchgemacht haben.

Wie hat sich dein Arbeitsalltag im Laufe der Zeit verändert? Gibt es Dinge, die du heute anders machst als zu Beginn?

Wir haben hier irgendwann auf ein System umgestellt, bei dem man zu Schichtbeginn eine Liste mit den zu erledigenden Aufgaben bekommt.

Alles, was man allein macht – Haushalt, Reparaturen, Logistisches – kann man sich dabei frei einteilen.
Mir liegt das sehr. Diese Planbarkeit ist toll.

Gab es besondere Erfahrungen oder Meilensteine in deiner beruflichen Entwicklung, die dich geprägt haben?

Sicherlich die Pandemie.

Meine Tochter war gerade drei Tage alt, da kam der Anruf, dass alle bis auf eine Kollegin in Quarantäne waren – und ich musste zu einer Schicht, deren Ende nicht absehbar war.

Auch das spielte sich irgendwann ein, aber es war eine Zerreißprobe: Man wusste nichts, du warst Hochrisikopatient, und hier war einer der Brennpunkte. Ich musste meine Frau allein lassen, die noch ziemlich fertig von der Geburt war – und keiner wusste, ob du eine Ansteckung überleben würdest.
Genau dasselbe galt für das Baby. Aus heutiger Sicht ist das so weit weg, aber ich erinnere mich an die Telefongespräche damals, die Überlegung: Was ist, wenn alle ausfallen? Meine Frau wollte sogar mit der Kleinen herkommen. Wahnsinn.

Bekannte reden von der Pandemie immer noch genervt als eine Zeit der Langeweile – und ich kann mich an den Gesprächen immer noch nicht beteiligen.
Wenn sich aufgeregt wird, dass man mal im Supermarkt eine Maske tragen musste – das macht mich fertig. Dieser Freiheitsbegriff, der die Freiheit zur Rücksichtslosigkeit statt die Freiheit zur Verantwortung postuliert… Mein Menschenbild hat sich seit 2020 schon verschlechtert.

Welche Fähigkeiten oder Kompetenzen hast du durch deine Arbeit weiterentwickelt?

Disziplin. Strukturierter zu arbeiten. Mich selbst zurückzunehmen. Das ist meiner Meinung nach essenziell. Ich glaube, jeder Mensch muss in seinem Leben einem anderen Menschen dienen – und zwar nicht aus Zwang. Das klingt religiös, soll es aber nicht.

Einen Menschen, der immer nur obenauf war im Leben und dabei einen erträglichen Charakter behalten hat, muss ich erst noch treffen.

Gab es eine lustige oder unerwartete Situation, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Wir lachen uns unentwegt kaputt, aber das hat meist mit nicht jugendfreien Insiderwitzen zu tun – daher schwer zu kommunizieren. Der ein oder andere Bewerber von einem komplett anderen Planeten blieb mir auch im Gedächtnis. 😄

Was würdest du jemandem sagen, der darüber nachdenkt, in die Assistenzarbeit einzusteigen? Warum lohnt sich dieser Beruf?

Als erstes sage ich aus Erfahrung vollkommen ehrlich: Wenn du dich nicht wohl fühlst, schnell wechseln. Auf keinen Fall aufgrund eines schlechten Gewissens an eine belastende Stelle binden. Wir arbeiten eng mit Menschen zusammen und es kann zum einen auch mal nicht passen, zum anderen gibt es auch Menschen, die eine Wut auf die Welt empfinden, die sie an ihrer Umgebung auslassen.

Das kann manchmal verständlich sein, aber wir sind keine Werkzeuge, sondern auch Menschen. Ich war von einer Stelle so traumatisiert, dass ich für Jahre bei jedem Vorbeifahren an dieser Autobahnabfahrt schon Magenkrämpfe kriegte. Ich bin eher ein People Pleaser und hatte noch nie irgendwo richtig gekündigt, außer wegen eines Umzugs. Für mich selber einzustehen und zu gehen, war ein persönlicher Meilenstein.

Findet man dagegen einen Klienten oder eine Klientin, mit der man sich versteht und sich auch in den langen Schichten nicht nervt, ist eine ganz andere Welt. Klar ist es mein Beruf und keine Spaßveranstaltung, aber so eng aufeinander zu hängen, erfordert schon, dass es menschlich passt.

Und dann, wie gesagt, hat man nach einer Schicht immer das Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben.

Wie empfindest du die Zusammenarbeit mit deinem Arbeitgeber im Arbeitgebermodell als Arbeitnehmer:in? Gibt es Unterschiede zu deinen vergangenen Arbeitsverhältnissen?

Ich bin angekommen. Meine Selbstständigkeit außen vor, möchte ich jedenfalls innerhalb dieses Berufsfelds nicht mehr wechseln. Ich habe vorher viele gute und schlechte Erfahrungen gemacht und ich glaube, ich selbst war aufgrund meiner schlechten Erfahrungen anfangs auf dieser Stelle kein guter Mitarbeiter und habe mich weiterentwickelt. Ein persönlicher Assistent, der aus dem Gleichgewicht geraten ist, versucht oft, ungefragt mehr zu machen, vernachlässigt aber gleichzeitig sozusagen den Pflichtteil. Das nimmt den Klienten die Autonomie.

Wir ziehen hier an einem Strang und nehmen Rücksicht aufeinander. Alles hat sich so schön eingespielt und auch nach so vielen Jahren geht uns der Gesprächsstoff nicht aus. Ich sollte höchstens meine Laberflashs manchmal ein bisschen im Zaum halten. Dieselben Aufgaben, die anfangs wie ein Berg erschienen, fallen mir jetzt sehr leicht. 😄 Läuft.

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Hinweis: Erkennbare Markennamen sind willkürlich gewählt und dienen ausdrücklich nicht der Produktplatzierung. Biogen nimmt keinerlei Einfluss auf Umsatzgeschäfte der auf SMAlltalk sporadisch erkennbaren Markenhersteller und es bestehen diesbezüglich keinerlei Erwartungen. 

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