Jahrgang: ’90er •
SMA TYP II

Vorhaut-Beschneidung wegen SMA – Meine persönlichen Erfahrungen zur „Männerhygiene“

Wieso ich mich aufgrund meiner spinalen Muskelatrophie für eine Beschneidung entschieden habe…

Auf einem violetten Hintergrund liegt eine Banane an zwei Pflaumen angelehnt.
Auf einem violetten Hintergrund liegt eine Banane an zwei Pflaumen angelehnt.

Zugegeben, das ist vielleicht ein etwas drastischer Titel. Aber es besteht wirklich ein Zusammenhang zwischen meiner Beschneidung und meiner Erkrankung mit SMA Typ II. Bevor ich diesen jedoch näher erläutere, möchte ich eine Anmerkung vorwegschicken:

Eine Beschneidung der Vorhaut ist ein nicht unerheblicher medizinischer Eingriff mit weitreichenden Folgen und durchaus auch einigen Risiken. Ein solcher Eingriff sollte nicht leichtfertig vorgenommen werden. Die Entscheidung darüber, ob eine Beschneidung durchgeführt werden soll, muss jeder (in diesem Beitrag verzichte ich – aus offensichtlichen Gründen – darauf, zu gendern) für sich selbst treffen. Dabei ist die individuelle Situation zu berücksichtigen. Außerdem sollte man(n) sich darüber ausführlich von kompetentem medizinischem Personal aufklären lassen.

Erfahrungen teilen

Da ich selbst weiß, dass dies ein durchaus umstrittenes Thema ist, möchte ich heute mit der Community teilen, weshalb ich mich noch im Erwachsenenalter für eine Beschneidung entschieden habe. Ich werde außerdem mit euch teilen, wie ich das Ganze erlebt habe und wie mein Leben sich seitdem verändert hat.

Ursprünglich hatte ich die Idee, mich beschneiden zu lassen, schon einmal als Teenager. Vor demselben Hintergrund, der nun letztendlich ausschlaggebend für meine Entscheidung war. Damals wurde mir dies in der Familie jedoch ausgeredet. Dazu später noch mehr. Mir ist es an dieser Stelle wichtig, zu erwähnen, dass ich da niemandem einen Vorwurf mache. Denn meine Angehörigen wollten natürlich immer nur mein Bestes. Allerdings wäre es einzig und alleine meine Entscheidung gewesen. Denn es ging um meinen Körper. Rückblickend wünsche ich mir, dass ich diese Entscheidung, wenn auch vielleicht nicht mitten in der Pubertät, aber doch auf jeden Fall früher getroffen hätte.

Während andere Männer die Entscheidung, sich von ihrer Vorhaut zu trennen, vielleicht aus ästhetischen Gründen treffen oder sie ihnen gar im Kleinkindalter von ihren Eltern, teilweise aus religiösen Gründen, abgenommen wird, war es bei mir eine ganz praktische Entscheidung. Hier kommt nun auch die SMA ins Spiel. Natürlich hat eine Muskelschwäche per se keinen Einfluss auf ein Stückchen Haut oder unseren Penis – das ist nämlich kein Muskel (zum Glück 😉). Dennoch beeinflusst diese Haut durchaus, was ich alles noch selbst mit meinem Körper machen kann und was eben nicht. Sachgemäße Intimhygiene gehörte, solange ich mich erinnern kann, nicht dazu. Sie wurde immer von anderen Menschen durchgeführt: In der Kindheit von den Eltern, später von Pflege- und Assistenzkräften. Gerade letztere sind häufig Quereinsteiger. Wenn man denen dann irgendwann erklären muss, wie sie die Vorhaut zurückziehen, darunter reinigen und dann die Vorhaut wieder in die Ausgangsposition bringen müssen, ist das zwar eigentlich nicht tragisch – schließlich ist es menschlich… – aber eben nur eigentlich. Denn irgendwie ist es immer, auch nach jahrelangem Leben mit Assistenz, ein kleines bisschen komisch. Für alle Beteiligten. Das ist ebenfalls menschlich. Denn auch wenn man(n) sich im Laufe der Jahre daran gewöhnt, dass immer irgendwelche, de facto, fremde Menschen im eigenen Intimbereich herumwurschteln, so ist das doch deutlich weniger reizvoll, als es einem irgendwelche Krankenschwester-Pornos glauben machen wollen.

Entzündung

Doch leider muss das sein, wenn man(n) nicht (mehr) selbst für die notwendige Sauberkeit sorgen kann. Ansonsten wird es nämlich richtig fies. Diese Erfahrung habe ich auch machen müssen. Mangelnde Intimhygiene kann zu einer Entzündung der Eichel führen. Und ja, das ist genauso unangenehm, wie es sich anhört. Schlimmer noch, da müssen dann nicht nur einmal am Tag Fremde im Intimbereich arbeiten, sondern gleich 3x täglich, um Salbe aufzutragen. 😑

Nachdem sich diese Entzündungen bei mir häuften und schon chronisch wurden, fasste ich den Entschluss, dieses Thema doch noch einmal anzugehen. Denn so war es definitiv kein Zustand!

Ich informierte mich also, sprach mit verschiedenen Ärzten und entschied mich schließlich für einen, bei dem ich mich gut aufgehoben fühlte und den ich sogar ohne Auto oder Bus erreichen konnte (eine weise Entscheidung, wie sich später noch zeigen sollte!).

Die Operation

Im Vorgespräch zu der Beschneidung hatten wir auch die SMA-bedingten Besonderheiten bei diesem Eingriff besprochen. So verzichteten wir auf eine Vollnarkose. Stattdessen wurde das Operationsfeld nur örtlich betäubt. Außerdem besprachen wir, dass ich mich nicht flach auf den Operationstisch legen könnte, sondern wir aufgrund der Kontrakturen in den Beinen, diese einfach frei herunterhängen lassen würden. Außerdem erlaubte der Arzt, dass einer meiner Assistenten die gesamte Zeit bei mir bleiben könnte, falls ich etwas bräuchte.

Der Eingriff selbst wurde ambulant durchgeführt. Bei anderen Ärzten wäre es auch eine Option gewesen, jeweils vor und nach der Operation eine Nacht stationär aufgenommen zu werden. Da ich aber in der Nähe wohnte, beschloss ich, die Nächte lieber zu Hause zu verbringen. Denn hier hätte ich alles, was ich brauchte. Es war auch so schon ein ganz schöner Akt, alles Notwendige mit zum Arzt zu nehmen.

Neben meinem Patientenlifter für den Transfer vom Rollstuhl auf den Operationstisch brachte ich nämlich noch zahlreiche Kissen zur Lagerung mit. Schließlich würde der Eingriff rund 1 Stunde dauern.

Es war auf jeden Fall eine interessante Erfahrung – besonders die örtliche Betäubung. Nach den beiden Injektionen hierfür spürt man(n) nämlich seinen Penis einfach nicht mehr. Und das ist auch gut so. Denn inzwischen (zum Glück erst nach meiner Operation) habe ich mir mal ein Video angeschaut, in dem die Beschneidung in real und nicht bloß schematisch gezeigt wird. Heute weiß ich also: Während ich meinen Penis nicht spürte und fröhlich mit dem Arzt plauderte, passierte auf der anderen Seite des Abdecktuches so einiges, das schon beim Zusehen unangenehm ist. 🫣

Nach der OP

Das merkte ich auch nach der Operation auf dem Nachhauseweg. Da machte mein Kreislauf nämlich deutlich, dass da gerade doch ein ganz schöner Eingriff an meinem Körper vorgenommen worden war. Glücklicherweise war ich im Rollstuhl unterwegs. So konnten wir problemlos eine kleine Pause machen und in einem nahegelegenen Kiosk etwas Zuckerhaltiges zum Trinken besorgen.

Doch der schwierigste Teil kam erst noch: die Tage nach der Operation. Denn natürlich ist man(n) dann in diesem Bereich erst mal verdammt empfindlich. 😮‍💨

Außerdem muss regelmäßig eine ordentliche Wundversorgung gemacht werden. Gerade bei diesem sensiblen Körperteil soll ja sichergestellt werden, dass alles ordentlich abheilt. Es müssen also noch einmal fremde Menschen, sehr intensiv, im Intimbereich herumwurschteln. Genau davor hatte mich seinerzeit auch meine Familie gewarnt. Grundsätzlich ist das natürlich richtig. Aber dieser Zeitraum war ja überschaubar. Wir hatten das Thema außerdem zuvor in einer Teambesprechung mit allen Assistenzkräften thematisiert.

Ich will natürlich nicht unterschlagen, dass die ersten Tage schmerzhaft und unangenehm waren. Ein weiterer Grund, weshalb mir in meiner Jugend von der Operation abgeraten worden war. Schließlich hätte ich ja schon genug Schmerzen gehabt. Auch das ist natürlich grundsätzlich richtig. Doch gerade im Vergleich mit so manch anderer medizinischen Prozedur in meinem Leben mit SMA waren die Schmerzen nach der Beschneidung wirklich erträglich – insbesondere, da ich ja wusste, wofür ich das mache.

Darüber hinaus war die Angelegenheit tatsächlich ziemlich schnell wieder erledigt. Es war erstaunlich, wie schnell die Eichel, die ja nun ungeschützt ist, unsensibel wurde. Die Beschneidung selbst war nach noch nicht einmal drei Wochen verheilt. Es dauerte noch etwa drei weitere Wochen, bis wir bei der Lagerung und den Transfers nicht mehr auf den Penis achten mussten.

Warum für mich richtige Entscheidung

Für mich war ziemlich schnell klar, dass ich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Seit der Operation hatte ich keine Entzündung mehr. Und die Intimhygiene ist nun wirklich ein Kinderspiel: Den kleinen Freund einfach unter der Dusche einmal ordentlich mit abbrausen lassen und das Thema ist erledigt. 🚿

Und selbst, wenn ich es mal nicht in die Dusche schaffe, ist es jetzt besser. Ohne Vorhaut reicht es, untenrum einmal feucht durchzuwischen. Niemand muss mehr langwierig in meinem Intimbereich herumwurschteln. Außer ich will das so – aber das ist ein anderer Beitrag ;-)

Wie ist das mit…

Abschließend möchte ich noch auf einen Aspekt eingehen, der viele Männer im Zusammenhang mit einer Beschneidung beschäftigt. Immer wieder wird beschrieben, dass sich eine Beschneidung im Erwachsenenalter negativ auf das Sexualleben auswirken würde. Dem kann ich aus voller Überzeugung widersprechen.

Ja, es ist richtig, dass der Penis unsensibler wird. Aber ganz ehrlich, aufgrund der SMA war ich beim Liebesspiel ohnehin noch nie wirklich der aktive Partner. Sex ist bei uns SMAlern anders als bloß schnell „rein-raus-fertig,“ so dass die Empfindsamkeit meines Penis eher eine untergeordnete Rolle spielt. Darüber hinaus bin ich natürlich wesentlich entspannter, wenn ich weiß, dass mein Gegenüber in meiner Unterhose keine unschöne Überraschung erlebt, weil mein Penis jetzt definitiv sauber ist. Und auch, dass im Anschluss an das Vergnügen nun ziemlich simpel wieder Ordnung und Sauberkeit hergestellt werden kann (von wem auch immer), trägt für mich definitiv zu mehr Spaß im Bett bei.

Vielleicht habt auch ihr mit Entzündungen zu kämpfen, möchtet mehr Selbstbestimmung über euren Intimbereich oder macht euch Sorgen, wie es werden soll, wenn die SMA fortschreitet und ihr weniger selbst machen könnt. Dann hoffe ich, mein ziemlich privater Beitrag konnte dem einen oder anderen da draußen einen interessanten und hilfreichen Einblick geben.

Eine Hand, die einen Hygienespender betätigt.
Eine Hand, die einen Hygienespender betätigt.

Eine Beschneidung kann die Intimhygiene von SMA-Betroffenen erleichtern. 

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