Zunächst aber: Was bedeutet es überhaupt, „Assistenz zu beantragen“?
Es heißt, dass Menschen mit Behinderung, die ihren Alltag nicht selbstständig bewältigen können, Unterstützung erhalten – mit dem Ziel, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen.
Klingt nach Fortschritt, nach einer Gesellschaft, die Selbstverwirklichung auch mit Behinderung ermöglicht, oder? Doch genau hier beginnt das „Spiel des Lebens“ – vielleicht sogar im wortwörtlichen Sinne.
Bevor diese essenzielle Unterstützung gewährt wird, muss die Finanzierung durch einen Kostenträger geklärt werden. Und das ist in etwa so entspannt wie eine mehrstündige Fahrt mit dem Rollstuhl über Kopfsteinpflaster.
Das größte Problem: Erst einmal fühlt sich niemand verantwortlich. Je nach Lebenslage kommen unterschiedliche Kostenträger infrage – die Krankenkasse, das Sozialamt oder in manchen Fällen sogar das Integrationsamt. Jede dieser Institutionen hat eigene Regeln, Formulare und Anforderungen, die sich oft widersprechen – obwohl rechtliche Vorgaben eigentlich eine Vereinheitlichung vorschreiben.
Das Resultat? Menschen, die ohnehin auf Unterstützung angewiesen sind, müssen sich durch einen Dschungel aus Paragrafen und Verordnungen kämpfen.
Was mich persönlich immer wieder nervt, ist die ständige Notwendigkeit, mich immer und immer wieder rechtfertigen zu müssen – für einen Zustand, den ich mir nicht ausgesucht habe. Als wäre es nicht schon herausfordernd genug, den Alltag ohne Hilfe zu organisieren, muss ich zusätzlich einem halben Dutzend Fachstellen nachweisen, dass ich tatsächlich auf Assistenz angewiesen bin.
Dabei wird fast immer suggeriert, ich könnte meinen Alltag und Beruf doch irgendwie auch ohne Unterstützung bewältigen. Diese unterschwellige Botschaft frustriert mich – und macht mich manchmal regelrecht wütend. Denn letztlich geht es hier nicht um eine objektive Prüfung meines Bedarfs, sondern um Willkür, Hinhaltetaktiken und das bewusste Frisieren der Ablehnungsquote für Vorgesetzte.
Ein Beispiel: Als ich einen Antrag auf zusätzliche Nachtassistenz stellte, musste ich detailliert darlegen, warum ich nachts Hilfe benötige. Das Sozialamt forderte ärztliche Berichte und Stellungnahmen, obwohl die Situation glasklar war. Zusätzlich sollte ich über Monate hinweg peinlich genau protokollieren, wann ich nachts umgelagert oder zur Toilette musste – eine Anforderung, die sich fast schon wie Demütigung anfühlte.
Am Ende dauerte es über zwei Jahre, bis die Leistung mit anwaltlicher Unterstützung bewilligt wurde – und das auch nur, weil mein Kostenträger vor vollendeten Tatsachen stand: Meine Familie zog aus unserer barrierefreien Wohnung in eine für mich unzugängliche Wohnung. Hätte ich keine Assistenz bekommen, hätte ich dort gar nicht einziehen können.
In solchen Momenten steht man vor einer Entscheidung: Kämpfen oder resignieren? Es wäre leicht, den Kopf in den Sand zu stecken und zu sagen: „Dann eben nicht.“ Doch genau das darf nicht passieren. Der Anspruch auf Unterstützung ist kein Privileg, sondern ein Recht. Auch wenn die Bürokratie alles daransetzt, das anders aussehen zu lassen – und oft bewusst auf eine Ablehnung hinarbeitet.
Ein Lichtblick in all dem Chaos sind Beratungsstellen und Unterstützungsnetzwerke. Sie helfen dabei, sich durch den Dschungel der Anträge zu navigieren. Sie kennen die Tricks und Fallstricke, wissen, welche Formulierungen in Anträgen die besten Erfolgschancen haben, und geben einem das Gefühl, nicht allein zu sein. Ohne diese Unterstützung hätte ich in der Vergangenheit vermutlich mehr als einmal aufgegeben.
Oft reicht das jedoch nicht aus – dann braucht es einen erfahrenen Anwalt für Sozialrecht, der legitimen Druck ausübt. Deshalb ist mein wichtigster Rat in jeder Beratung: Eine Rechtsschutzversicherung ist keine Option, sondern eine Investition in die eigene Handlungsfähigkeit.
Kritik zu üben ist einfach – aber ich bemühe mich stets, auch Lösungsansätze aufzuzeigen. Daher mein Vorschlag: Oft scheitert eine effiziente Bearbeitung an mangelndem Fachwissen der Sachbearbeiter. Regelmäßige Schulungen sowie verbindliche Standards für die Bearbeitung von Assistenzanträgen – unter Einbeziehung von Menschen mit persönlicher Assistenz – könnten die Qualität der Entscheidungen erheblich verbessern. So würde auch der Eindruck vermieden, dass Antragsteller durch unnötige Bürokratie hingehalten werden.
Ebenso sollte die Ablehnung von Anträgen nicht zum beruflichen Vorteil von Sachbearbeitern werden. Entscheidungen müssen sachlich, fair und bedarfsorientiert getroffen werden – nicht aus strategischem Kalkül.
Der Weg zur persönlichen Assistenz ist steinig – doch jeder Schritt lohnt sich. Sich durchzusetzen bedeutet, für seine Rechte einzustehen – und genau diese Botschaft sollten wir uns immer wieder vor Augen führen.
Hinweis: Erkennbare Markennamen sind willkürlich gewählt und dienen ausdrücklich nicht der Produktplatzierung. Biogen nimmt keinerlei Einfluss auf Umsatzgeschäfte der auf SMAlltalk sporadisch erkennbaren Markenhersteller und es bestehen diesbezüglich keinerlei Erwartungen.
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