Unsere Form der SMA betrifft meine gesamte Familie und ist in dieser Form einmalig auf der Welt. Denn es handelt sich hierbei nicht um eine 5q-SMA – die Ursache ist also nicht im SMN 1 Gen begründet. Stattdessen liegt in unserem Fall eine Mutation des ACTR 1 A Gens vor. Es handelt sich wahrscheinlich um eine Art der Kugelberg-Welander-Krankheit, also eine schwächere Form des SMA-Typ III.
Dieser Gen-Defekt ist bei allen Betroffenen vorhanden. Erstmals aufgetreten ist er wahrscheinlich bei der Großmutter väterlicherseits. Das kann zwar niemand mehr mit Sicherheit sagen, aber da sind zumindest erste Auffälligkeiten aufgetreten. Ich habe selbst ein wenig Ahnenforschung betrieben und bin bis ins 16. Jahrhundert gekommen. Bisher habe ich herausgefunden, dass bei fünf bis sechs Kindern jeweils ungefähr die Hälfte betroffen war und zwar jeweils in ganz unterschiedlichem Ausmaß.
Wir sind insgesamt fünf Geschwister – davon sind neben mir noch zwei weitere Geschwister betroffen. Ein Bruder ist es nachweislich nicht. Und bei dem Jüngsten sind wir uns nicht ganz sicher. Er weist nämlich nicht wirklich die typischen Symptome auf. Und die Anzeichen, die er hat, könnten auch eher andere Ursachen haben, wie seinen schweren Bandscheibenvorfall.
Das Ungewöhnliche an unserer Form ist, dass sie scheinbar so willkürlich innerhalb der Familiengeschichte springt. Bei meinen Cousinen ist es so, dass überall, wo ein Elternteil betroffen ist, auch die Kinder Symptome zeigen. Ich selbst habe schwache Symptome. Meine beiden Kinder, sechsjährige Zwillinge, sind unterschiedlich stark betroffen. Und es ist egal, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelt. Der Erbgang ist dabei autosomal-dominant.
Schon mit drei Jahren haben Ärzte bei mir die Krankheit festgestellt. Erste Beeinträchtigungen hatte ich aber erst in der Pubertät mit circa 12 oder 13 Jahren. Damals ist mir erstmals aufgefallen, dass mir das Treppensteigen deutlich schwerer fällt, als Gleichaltrigen – was auch bis heute noch der Fall ist. Ich bin in der DDR groß geworden. Zu der Zeit hat man sogenannte „Wandertage“ veranstaltet. Das hieß im Endeffekt aber nur: mit dem Schulranzen auf dem Rücken im Gebäude Treppen rauf und Treppen runter. Nach einiger Zeit wurde ich dann umgeschult auf eine Schule für Kinder mit körperlichen Einschränkungen. Heute bin ich weitestgehend mobil. Und da ich mit der Krankheit groß geworden bin, habe ich sie nie als große Beeinträchtigung empfunden.
Ich brauche nur bei weiteren Strecken mal einen Stock und habe vor allem Schwierigkeiten bei Arbeiten über dem Schulterbereich. Generell ist nämlich vor allem der Schulter-Becken-Gürtel bei dieser Form stärker betroffen. Ich könnte also nur schwer eine Decke streichen – eine Kiste zu heben, ist aber gar kein Problem. Bei mir handelt es sich allerdings, wie gesagt, auch nur um eine schwächere Ausprägung dieser SMA-Form. Und man muss dazu sagen, dass ich vor 26 Jahren einen schweren Autounfall hatte und dieser meine Kraftbeeinträchtigung ebenfalls beeinflussen könnte.
Meine Schwester hat es da schon stärker getroffen. Sie ist ein Jahr älter als ich und konnte, bis sie vier Jahre alt war, lediglich auf den Zehenspitzen laufen, ihre Fersen haben nie den Boden berührt – so wurde die Krankheit bei ihr erstmalig auffällig. Die gleichen Symptome hat dann auch meine Tochter gezeigt. Denn auch sie hat verkürzte Achillessehnen. Diese Sehnen ermöglichen es, dass sich beim Abrollen des Fußes die Ferse vom Boden hebt. Es scheint also Symptome zu geben, die für die Mädchen der Familie typisch sind. Dazu gehört neben der Achillessehne auch das ausgeprägte Hohlkreuz. Sie schleift die Füße immer etwas über den Boden und hat die Knie immer ein wenig angewinkelt, da sie die Beine nicht komplett durchstrecken kann. In den Armen ist sie in ihrer Kraft allerdings wahrscheinlich nicht eingeschränkt. Ihr Zwillingsbruder dagegen zeigt nur diffuse Symptome. Er kann beispielsweise nicht lange sitzen. Genauso erging es mir auch.
Insgesamt handelt es sich aber, selbst unter den schweren Fällen der Familie, eher um eine schwächere SMA-Form. Denn die allermeisten sind trotz allem zumindest mobil. Lediglich eine meiner Cousinen verwendet einen Rollator und ein Sohn einer Cousine benötigt ebenfalls Hilfsmittel – das sind aber eher die Ausnahmen.
Hinweis: Erkennbare Markennamen sind willkürlich gewählt und dienen ausdrücklich nicht der Produktplatzierung. Biogen nimmt keinerlei Einfluss auf Umsatzgeschäfte der auf SMAlltalk sporadisch erkennbaren Markenhersteller und es bestehen diesbezüglich keinerlei Erwartungen.
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