Jahrgang: 1990 •
SMA TYP II

Aufwachsen mit SMA – aber ohne Vater – Wie du Herausforderungen meisterst und Stärke in dir selbst findest

Neben vielen anderen Dingen im Leben ist die Familie, in der man aufwächst, ein gegebener Umstand – quasi wie ein einzelner Würfelwurf. Auch mit einer SMA-Diagnose ist man nicht davor gefeit, in vielleicht ungünstigeren Verhältnissen aufzuwachsen, etwa als Kind von Einwanderern oder größtenteils nur von der Großmutter und Mutter großgezogen zu werden. Nachfolgend gebe ich einen kleinen Einblick in meinen Werdegang unter diesen Bedingungen, den damit verbundenen Herausforderungen und wie ich lernte, sie zu meistern.

Auf einem Holztisch liegen aus Papier ausgeschnittene Häuser. Auf den Häusern stehen ein bis drei ebenfalls ausgeschnittene Strichmännchen.
Auf einem Holztisch liegen aus Papier ausgeschnittene Häuser. Auf den Häusern stehen ein bis drei ebenfalls ausgeschnittene Strichmännchen.

Kein Geld, kein Deutsch, keine Hilfe

Finanziell war die schwierigste Zeit zwischen den beiden Ehen meiner Mutter, als auch meine Oma noch nicht bei uns war. Da meine Mutter nicht richtig Deutsch sprechen konnte, war es ohne soziale Unterstützung sehr schwer, über die Runden zu kommen.

Unterstützung für mich und meine Familie gab es teilweise auch durch Freunde und Bekannte. Später gab es auch staatliche Unterstützung, die man erhalten konnte. Nicht nur aufgrund der sprachlichen Schwierigkeiten erfuhren wir aber oft nur zufällig davon. Dabei war es dann wichtig sicherzustellen, dass die Hilfe gezielt genutzt wurde und nicht unbeabsichtigt zusätzliche Belastungen für mich entstanden. Wir hatten uns dann dazu entschlossen, dass zum Beispiel das Pflegegeld, das mir zustand, auf ein separates Konto verbucht wurde. So konnten wir sicherstellen, dass meine Mutter es gezielt für meine Pflege einsetzen konnte, ohne einen etwaigen Fremdzugriff durch andere Familienmitglieder.

Meine Rettung 1: Teamwork mit den (Groß-) Müttern

Meine Mutter bemühte sich in meiner frühen Kindheit, in meiner Gegenwart nichts von den großen Schwierigkeiten zu zeigen und mir trotz der Armut und Unsicherheit jeden Tag zu einem besonderen Erlebnis zu machen. Sobald ich konnte, brachte ich ihr dafür Deutsch bei, was natürlich vieles für uns beide erleichterte. Ein großer rettender Faktor war dann aber meine Oma, die vor der zweiten Eheschließung meiner Mutter zu uns zog. Während meine Mutter im Verlauf meines Heranwachsens unterschiedliche Rollen einnahm – Mutter, Vater, Freund, Ebenbürtige –, hat ihre Mutter, also meine Großmutter, später alles getan, damit ich in diesem Konstrukt überleben und auch wachsen konnte. Letztendlich war sie eine Art Übermutter, die, im Gegensatz zu meiner Mutter, in jedem Alter die gleiche Rolle innehatte.

Meine Rettung 2: Wirklichkeitsflucht

Ein anderer rettender Faktor war meine (irgendwann unvermeidliche) stetige Abkapselung des komplizierten Familienlebens, innerlich, sowie über meinen Computer, meine Schulaufgaben und meine Konsole. Während der ersten Jahre der Belastungen der zweiten Ehe meiner Mutter bemühte ich mich, zu vermitteln und Frieden zu stiften. Doch bald verlor ich diese naive Vorstellung und konzentrierte mich auf mich selbst und das Wohlergehen meiner Großmutter anstatt auf die Familie als Ganzes.

Mit meinen Hobbys, der Bildung und den Weiten des Internets konnte ich mich weiter vom familiären Geschehen fernhalten. Nach der späteren Geburt meines Halbbruders nahm der Abnabelungsprozess noch an Fahrt auf. Bis auf die Hilfe bei meiner Versorgung lebten meine Mutter und ich schon damals weitgehend getrennte Leben.

Was aus mir geworden ist: Ein Zeitsprung.

Nach wie vor bin ich dabei, in verschiedenen Belangen meinen Weg zu bestreiten – so, wie ich ihn mir vorstelle. Da ich mental und emotional schon im Jugendalter auf mich allein gestellt war, habe ich schon früh Erfahrungen damit machen können, für mich selbst zu sorgen. Dadurch mag mir später der Start in mein Leben in meiner eigenen Wohnung leichter gefallen sein.

Auch die familiären Beziehungen sind mittlerweile viel entspannter. Meine Mutter lebt geschieden mit meinem Halbbruder wenige Häuser weiter. Für viele Belange bin ich mittlerweile erste Anlaufstelle für meinen Bruder und manchmal sogar meine Mutter geworden. Es ist nicht alles eitel Sonnenschein, aber das Familienverhältnis ist heute in seinem bislang besten Zustand.

Was ich damit ausdrücken möchte: Die Familie – ebenso wie die SMA – kann man sich nicht aussuchen. Zunächst kann man den Status Quo akzeptieren und versuchen, ihn ohne große emotionale Reaktion hinzunehmen. Im nächsten Schritt kann man Mittel und Wege finden, mit der Situation umzugehen, um sie nicht ständig im Fokus zu haben. Diese Auswege sind nicht immer dauerhaft gesund oder von Anfang an ideal, aber sie ermöglichen es, unüberwindbare Hindernisse kritisch zu betrachten und vielleicht doch mittel- oder langfristige Lösungen zu finden, auch wenn diese nicht sofort offensichtlich sind. Im Nachhinein haben sich meine Geduld und meine Verbissenheit nach Besserung bewährt und auch heute gehe ich mit vielen Konflikten ähnlich um. Man kann folglich sagen, mein Werdegang hat mich zu der Person gemacht, die ich heute bin.

Der innere Abkapselungsprozess fand bei mir deutlich früher statt als der tatsächliche Start in ein selbstbestimmtes Leben mit eigener Wohnung.

Jahrgang: 1990 •
SMA TYP II

Hinweis: Erkennbare Markennamen sind willkürlich gewählt und dienen ausdrücklich nicht der Produktplatzierung. Biogen nimmt keinerlei Einfluss auf Umsatzgeschäfte der auf SMAlltalk sporadisch erkennbaren Markenhersteller und es bestehen diesbezüglich keinerlei Erwartungen. 

Biogen-246721

Abonniere unseren Newsletter!

Dein Abonnement konnte nicht gespeichert werden. Bitte versuche es erneut.
<b>Vielen Dank für deine Anmeldung! Um die Anmeldung zum SMAlltalk Newsletter abzuschließen, müssen wir deine E-Mail-Adresse bestätigen. Klicke dafür bitte auf den Link in der E-Mail, die wir dir gerade geschickt haben.

* Pflichtfeld

 

Newsletter
Newsletter

Andere Artikel zum Thema Erwachsenwerden