Der Tod – am Ende des Tages wohl die größte Angst der Menschheit oder jeder Spezies, weil noch niemand in der Lage ist, diesen Zustand zu überwinden. Für mich ist er schon längst ein stetiger Begleiter im Leben – ein bisschen wie eine Spielzeugbeilage beim Imbiss, mit der man nichts anzufangen weiß.
Bereits bei meiner Diagnose mit etwa neun Monaten hat man meiner Mutter mitgeteilt, dass ich keine sechs Jahre alt werden sollte. Trotzdem bin ich jetzt schon fast drei Jahrzehnte überfällig. Ich sei ein Überlebenskünstler, könnte man meinen, aber die Mitteilung über die verminderte Lebenserwartung werden wohl auch andere Personen mit SMA schon einmal gehört oder gelesen haben.
Meine bisherigen Berührungen mit dem Tod waren sehr wankelmütig. Der erste mir bekannte Todesfall war der Tod meines Großvaters mütterlicherseits. Da war ich drei Jahre alt und konnte gerade mal so reden. Das Ganze spielte sich damals in Rumänien ab und da man mich mit meiner Behinderung damit nicht groß belasten wollte, blieb ich mit einer meiner Cousinen von den ganzen Beerdigungszeremonien der Region fern. Da ich zuvor meinen Großvater vorher nie bewusst erlebt hatte, war meine Vorstellung vom Tod so gering wie bei meiner Diagnose, als meine Wahrnehmung noch rudimentärer war.
Die volle Breitseite gab es dann aber, als in dem integrativen Kindergarten, den ich besuchte, ein anderes Kind aus meiner Gruppe plötzlich verstarb – von dem einen auf den anderen Tag. Wir hatten uns nie gut verstanden, häufig gezankt, doch ich war an diesem Tag nicht ruhig zu bekommen. Nicht hilfreich war dann auch noch die Bemerkung der betreuenden Erzieherin, bei der sie meinte, dass ich doch keinen Grund zu weinen hätte, da ich den Jungen sowieso nicht gemocht hatte. Das stimmte auch, trotzdem fühlte ich mich einige Tage einfach nur leer, weil ich so langsam den Tod als Konzept eines Endes vom Leben begriff.
Danach war es lange Zeit still zwischen dem Tod und mir. Ich verdrängte ihn nach Möglichkeit immer, bis innerhalb von einem Jahr unsere beiden langjährigen Hauskatzen, sowie meine Großmutter mütterlicherseits, die mich über fast zwei Jahrzehnte mitpflegte, in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Schwere starben. Bei keinem Todesfall war ich anwesend und mehr als eine Mitteilung erhielt ich nicht. Mein Denken über den Tod hatte sich damit nicht verändert, doch die Angst davor und dem damit verbundenen Verlust des Lebens hatte sich intensiviert.
Meine Angst vor dem Tod hatte ihren Höhepunkt während der Corona-Pandemie. Durch meine behinderungsbedingte Vulnerabilität hatte ich sehr häufig Phasen, wo ich mir dachte, dass mein letztes Stündlein bestimmt jeden Moment schlagen würde. Am Ende war immer nichts, nicht mal eine Infektion hatte ich bislang mit COVID-19.
Die Angst in der Öffentlichkeit sowie im privaten Umfeld hatten mir allerdings nicht gutgetan und nun hatte mich der Tod zwar nicht geholt, aber er hatte sich ein Urlaubsdomizil in meinem Kopf eingerichtet. Für einige Monate war er ein regelmäßiger Begleiter meines Denkens und bestimmte auch mein Handeln.
Im Rahmen eines philosophisch angehauchten Videospiels stieß ich zufällig auf eine faszinierende Metapher zum Thema Sterben, die nicht nur tiefsinnig war, sondern auch meine Insektenphobie berührte. Laut dieser Metapher in dem Spiel feuern Insekten die Menschen ständig an und verwerten nach unserem Tod, so makaber es auch klingen mag, ihre Überreste auf die bestmögliche Weise. Dies mag zunächst befremdlich klingen, hat mir aber geholfen, den Tod als einen nüchternen und natürlichen Teil des Lebenskreislaufs zu sehen – eine Lektion, die bereits im Biologieunterricht vermittelt wird.
Seitdem versuche ich, mich mit dem Tod regelmäßiger zu befassen. Nein, ich mache keinen Extremsport und auch sonst nichts, was das Leben bedroht, aber ich weiche dem Thema bei Gesprächen nicht mehr mit hohem Bogen aus, sondern nehme bewusst wahr, wie andere damit umgehen, und versuche mir damit nach und nach meine individuelle Bedeutung von Tod zu basteln.
Ferner habe ich eine Art faustischen Pakt mit mir geschlossen: Ich nutze die Angst vor dem ungewissen Tod aufgrund meiner verminderten Lebenserwartung als Antriebskraft, sozusagen als endgültige Deadline nach der einfach gar nichts mehr geht. So treibe ich mich selbst an, denn ich bin ambitioniert und will noch einiges erreichen vor dieser Deadline.
Paradoxerweise ist mittlerweile diese Angst vor dem Tod zu einem großen Quell des Antriebs für mich geworden, welchen eventuell andere ohne schwebendes Todesurteil über dem Kopf seit dem Säuglingsalter nicht haben. So kann ich meiner Angst sogar mittlerweile etwas abgewinnen!
Das Thema mentale Gesundheit liegt uns am Herzen. Solltet ihr unter Depressionen leiden oder andere psychische Probleme haben, könnt ihr euch bei der Telefonseelsorge melden. Diese ist unter 0800/111-0-111 sowie 0800/111-0-222 zu erreichen. Die Online-Adresse lautet www.telefonseelsorge.de.
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